Damokles-Schwert über Mittelstand

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Damokles-Schwert über Mittelstand

Mittelstand als Mutation im evolutionären Prozess
(der Mathematiker Kristan Schneider sieht die Volkswirtschaft als evolutionären Prozess. In diesem exklusiven Gastkommentar für Lobby der Mitte warnt er vor gefährlicher Stigmatisierung, Missachtung und Belastung des Mittelstandes)

Der Mittelstand, der sich seit der industriellen Revolution herausgebildet hat, schuf eine neue Mittelschicht, die sich zwischen der privilegierten Oberschicht und der breiten Masse einnistete. Die gestiegene Produktion schuf Arbeitsbedingungen für eine neue Mitte, die wir seither als Anker der Gesellschaft und als Maßstab für geordnete Arbeitsplätze erachten. Tatsächlich lief es nie so rund. Viele von den vermeintlichen, stabilen volkswirtschaftlichen Gleichgewichten sind in Wahrheit transiente, empfindliche Phänomene. Genau hier liegt der große Wert des Mittelstandes.

Es drängt sich eine Parallele zur Evolutionstheorie auf. Betriebe und Produkte entstehen wie Mutationen, die je nach Marktbeschaffenheit scheitern oder Erfolgsgeschichten schreiben. Bekanntlich ist Mutation der Ursprung von Vielfalt und Evolution. Weniger bekannt ist, dass sich die meisten Mutationen aussterben, während sich nur ein verschwindend kleiner Teil behauptet. Dennoch reichten diese aus, um aus der Ursuppe den Menschen entstehen zu lassen, der das Atom spaltete und den Mond eroberte. Das Scheitern gehört unzertrennlich zur Veränderung.

Wie in der Biologie wirken in der Wirtschaft Selektionskräfte auf die neuen „Mutationen“, die einem stetigen Wandel und zufälligen Schwankungen unterworfen sind. Kleine Produktänderungen schlüpfen in Rolle kleiner Mutationen, deren Verschwinden vom Markt nicht weiter auffällt, und das Scheitern von Unternehmen entspricht dem Aussterben von Population. Die Pleiten großer Unternehmen ähneln eher dem Niedergang der Dinosaurier – nur schließt die Politik diese mittels Rettungsschirmen künstlich an die Lebenserhaltungsmaschine.

Der Größenwahn der zu Managern aufgeblasenen Buchhalter
Die Gesellschaft sollte für jedes kleine oder mittelständische Unternehmen dankbar sein, das versucht sich am Markt zu behaupten – unabhängig von dessen Erfolg. Jedoch geschieht das genaue Gegenteil. In einem modern gewordenen Wachstumsfetischismus verfolgt die Politik unwissentlich das Ziel den „Rheinischen Konsenskapitalismus“ in einen „neo-amerikanischen Kapitalismus“ zu verwandelt, in dem nichts zählt worauf sich kein Kuckuck kleben lässt. Nicht mehr der Erfindergeist der Ingenieure sondern der Größenwahn der zu Managern aufgeblasenen Buchhalter gibt hier den Ton an, die mit Brachialgewalt Unternehmen zwangsverheiraten, deren Kultur genauso wenig zusammenpasst wie die Produktpaletten, die Produktion ins Ausland verlegen, Knowhow in Billiglohnländer verschiffen, solide Arbeitsverhältnisse vernichten und diese Unsitten noch strategisches Asset-Management nennen.

Die Belohnung in Form von überzogenen Managergehältern schürt nicht nur in Großunternehmen die Einkommensschere, die über Sozialleistungen ausgeglichen werden muss – für die der Mittelstanden mitzahlen darf – sondern schnürt auch den Nachwuchs an ingenieurwissenschaftlichem Nachwuchs zugunsten einer BWL-Epidemie ab. Zu guter Letzt kassieren erfolglose Manager fette Abfindungen, während gescheiterte mittelständische Unternehmer zum Pranger verurteilt, von Banken auf alle Ewigkeit geächtet und von der Bevölkerung als Schuldige für den Verlust von Arbeitsplätzen abgestempelt werden.

Damokles Schwert über dem Mittelstand
Die politische Stigmatisierung gegen Mittelständer scheint so tief zu sitzen, dass sie fast wie die Sage von König Ödipus zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird. Ständig neue Schikanen erschweren die Gründung und ideologische Schreckgespenste wie Unternehmenssteuern und Mindestlohn hängen wie Damokles Schwert über dem Schicksal der Betriebe und versalzen dem Mittelstand gehörig die Suppe.

Mittelständische Betriebe sind nachweislich rentabler als Großunternehmen, da die langzeitigen Interessen der Eigentümer statt den kurzfristigen Interessen von Managern für eine gesunde Unternehmensführung gerade stehen. Die Möglichkeiten der Steuerfluch sind geringer, das Betriebsklima ist besser und die Ungleichheit der Gehälter, die bei mancher AG schon schwindelerregende Höhen erreicht, geringer.

Schikanen gegen den Mittelstand sind Teil des Leichenzuges
KMU/Kleine und Mittelständische Unternehmen bringen die notwendige Flexibilität in eine gesunde produktionsorientierte Volkswirtschaft. Evolution ohne Mutation bedeutet Stillstand wie in der Zentralverwaltungswirtschaft. Es ist Zeit zu erkennen, dass die Gesellschaft von der Vielfalt mittelständischer Unternehmen profitiert, dass Scheitern ein natürlicher Prozess ist, und die Gesellschaft verantwortlich ist gescheiterten Unternehmern zu Neugründungen zu verhelfen. Die Schikanen gegen den Mittelstand sind Teil des Leichenzuges gegen den „Rheinischen Kapitalismus“, mit dem wir solide Arbeitsplätze, Arbeitnehmerschutz, Sozialleistungen, Urlaubszeiten uns ähnliche Segnungen mit zu Grabe tragen.

Prof. Dr. Kristan Schneider ist Mathematiker, der die Funktionsweise evolutionärer Prozesse und Mechanismen mittels mathematischer Modellierung erklärt.
Fakultät für Angewandte Computer- und Biowissenschaften, Hochschule Mittweida, Deutschland; E-Mail: kristan.schneider@hs-mittweida.de

 

 

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