Armutsproblem wird größer gerechnet, als es ist

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Armutsproblem wird größer gerechnet, als es ist

Wir bringen diesen hochinteressanten und viel diskutierten Artikel vom DER STANDARD und dem Redakteur András Szigetvari über die von Industriellenvereinigung-Präsident Georg Knill und  Generalsekretär Christoph Neumayer präsentierte neue IV-Broschüre zum Thema „Armut, Reichtum & Umverteilung“ mit 15 Fakten. Auch wenn der Redakteur des Artikels versucht dagegenzuhalten: Diese Fakten werden den Linkspopulisten nicht schmecken – vor allem weil sie ziemlich überzeugend argumentiert ist, meinen wir von der „Lobby der Mitte„.

Wir weisen aber auch darauf hin, dass in der Debatte die tatsächlich zunehmende Schwächung des unternehmerischen Mittelstands nicht vergessen werden darf. Auch wenn er sich überwiegend über der Armutsgrenze befindet, ist sein Dahinschwinden die Hauptursache für Wirtschaftsfehlentwicklungen, Standort- und Nahversorgungsprobleme sowie die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Im Anschluss verweisen wir auf dazu passende Artikel

Das Armutsproblem wird größer gerechnet, als es ist – sagt die Industriellenvereinigung

Industrievertreter wollen sich aktiver in die heimischen Verteilungsdebatten einbringen und warnen, dass Österreich vor allem durch die SPÖ armgerechnet werde. Wo sie richtig liegen – und wo nicht

Über Verteilungsgerechtigkeit zu streiten gilt vielen als ein linkes Anliegen. Kein Wunder: SPÖ, ÖGB und Arbeiterkammer melden sich regelmäßig zu Wort, wenn es um Armut, Steuergerechtigkeit und Einkommensverteilung geht. In Wahrheit betrifft das Thema alle, geht es doch um zentrale Fragen einer liberalen Gesellschaft: Wie ist Wohlstand verteilt, wer leistet welchen Beitrag dafür?

Diesem Motto getreu ist am Dienstag die Industriellenvereinigung (IV) in den Ring der Verteilungsdiskussion gestiegen. IV-Präsident Georg Knill und der Generalsekretär des Verbands, Christoph Neumayer, haben da in Wien eine neue Broschüre der IV zum Thema „Armut, Reichtum & Umverteilung“ mit 15 Fakten präsentiert. Das Werk ist eine Replik auf den neuen Ton in der SPÖ. Parteichef Andreas Babler hat nicht nur Erbschafts- und Vermögenssteuern wieder ins Zentrum der SPÖ-Programmatik gerückt. Er warnt auch laut vor einer Massenverarmung in Österreich als Folge der Inflation.

Wo Armut konzentriert ist

Hier setzt die Industriellenvereinigung mit ihren Fakten an. „Gibt es in Österreich viele arme Menschen?“, fragt die IV zu Beginn ihrer Broschüre, um dann sogleich die Antwort zu geben: „Nein.“

Die Antwort mag für viele empörend klingen. Aber die IV führt an dieser Stelle die belastbarsten Zahlen der Statistik Austria zu dem Thema an, wonach Armut in Österreich im internationalen Vergleich tatsächlich gering ist. 2,3 Prozent der Bevölkerung sind demnach von „erheblicher materieller und sozialer Deprivation“ betroffen. Das entspricht 208.000 Personen im Land.

Die hohe Inflation hat die Diskussionen über Armut in Österreich befeuert. Unter bestimmten Gruppen ist das Armutsrisiko jedenfalls enorm hoch, darunter Alleinerzieherinnen, Migranten und Langzeitarbeitslose. Im Euroraum ist dieser Wert etwa doppelt so hoch. Von Deprivation betroffen ist, wer sich sieben von 13 bestimmten Ausgaben nicht leisten kann, etwa einmal im Jahr auf Urlaub zu fahren oder ein Auto zu besitzen.In Österreich ist der Wert nicht nur niedrig, sondern er sinkt auch seit 15 Jahren. Insgesamt sind 17,5 Prozent der Menschen arm oder armutsgefährdet. Letzteres trifft auf jene zu, die weniger als 60 Prozent des Median-Einkommens zum Leben zur Verfügung haben.

Nun sind die hier erwähnten Zahlen schon älter, stammen von 2022 und beziehen sich auf 2021. Die aktuelle Inflationskrise ist hier somit nicht abgebildet. Das liegt daran, dass die besten Daten zur Vermessung der Armut aus einer EU-weiten Erhebungsreihe („EU-Silc“) stammen und zeitverzögert eintreffen. Neuere Daten der Statistik Austria gibt es auch – und diese zeigen tatsächlich eine Zunahme der Armut in Österreich. Diese Zahlen beruhen aber stärker auf subjektiven Einschätzungen, und hier ist die Stichprobe kleiner als bei EU-Silc.

Absolute Armut im EU-Vergleich

„Vollzeitarbeitende und Österreicher sind von Armut de facto nicht betroffen“, sagt IV-Generalsekretär Neumayer zu den Daten.

Richtig ist daran, dass Armut migrantisch ist: Bei Personen, die keine österreichische Staatsbürgerschaft oder jene eines EU-Landes haben, liegt die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung bei 51 Prozent. Richtig ist auch, dass die Intensität der Erwerbstätigkeit und die Frage, ob jemand überhaupt einen Job hat, eine große Rolle spielen. Unter ganzjährig Arbeitslosen sind 75 Prozent arm oder armutsgefährdet. Aber unter Vollzeitbeschäftigten ist jeder 15. armutsgefährdet. Eine weitere große Gruppe fehlt ganz in der Auflistung, zu der auch Österreicher gehören: Alleinerzieherinnen, von denen 47 Prozent arm oder gefährdet sind.

Worüber die IV nicht spricht in ihrer Broschüre, ist, dass Vollzeitarbeiten für viele Menschen sich unterm Strich nicht auszahlt, weil sie so wenig verdienen. Teilzeitarbeit ist eher in Niedriglohnbranchen wie dem Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Tourismus üblich. Sie wird meist von Frauen verrichtet, von denen 40 Prozent angeben, wegen Betreuungspflichten nicht mehr arbeiten zu können.

Auch der Handel ist eine eher weibliche Branche mit viel Teilzeit. Selbst hier zahlt sich das Aufstocken oft nicht aus: Eine Kassiererin verdient laut Kollektivvertrag zwölf Euro in der Stunde. Für zusätzliche Arbeitszeit wird wohl in vielen Fällen zusätzlich Kinderbetreuung bezahlt werden müssen, weil selbst in Wien Kindergärten nach 17 oder 17.30 Uhr schließen.

Wer den Staat erhält

Eine Reihe von Fakten der IV beschäftigt sich mit dem Beitrag der Menschen zur Finanzierung des Staates. So wird gezeigt, dass die obersten 20 Prozent der Einkommensbezieher unter dem Strich wohl um die 80 Prozent der Einkommensteuer im Land zahlen. Ein anderes Faktum zeigt, dass 2,7 Millionen Menschen so wenig verdienen, dass sie gar keine Einkommensteuer berappen müssen. Knill erwähnt auch Zahlen, die das Forschungsinstitut Wifo neulich präsentiert hat, wonach nur die 20 Prozent, die die höchsten Einkommen beziehen, Nettozahler wären in Österreich.

Hier freilich lässt sich einwenden, dass Wifo-Zahlen in dieser Lesart verwirrend sind. Das Wifo hat in einer Verteilungsstudie auch gezeigt, dass, wenn man die gesamte Bevölkerung in Österreich in zehn Gruppen je nach Einkommen einteilt, nur die beiden obersten Gruppen mehr an den Staat abführen, als sie von diesem bekommen. Worauf auch das Wifo hinweist, ist, dass das nur Durchschnittswerte sind. In jeder Gruppe, nicht nur in den obersten 20 Prozent, ist ein mehr oder weniger großer Anteil von Leuten enthalten, die selbst Nettozahler sind. Wer 1800 Euro verdient, arbeitet und keine Kinder hat, ist in einer unteren Einkommensgruppe, aber Nettozahler. Dazu kommt: Eine der wichtigsten staatlichen Einnahmequellen ist die Umsatzsteuer – und die zahlt jeder.

Wie die Ungleichheit sinkt

Die IV zeigt in ihrer Broschüre auch, dass Ungleichheit in Österreich seit Jahren de facto sehr konstant ist bei den Einkommen. Von der großen Schere, die aufgeht, könne keine Rede sein. Der Gini-Koeffizient, mit dem Ungleichheit gemessen wird, ist seit Jahren stabil. Daraus zu schließen, dass die Einkommen in Österreich nicht ungleich verteilt sind, wie die IV das tut, ist aber verkürzt. Tatsächlich zeigt das Wifo gerade, dass Markteinkommen in Österreich sehr ungleich verteilt sind – das oberste Einkommensfünftel erhält 44 Prozent der Markteinkommen, das unterste nur fünf Prozent. Erst der Staat gleicht das mit diversen Transfers, von Pensionen bis hin zu Schul- und Gesundheitsleistungen, zu einem Teil wieder aus.

(András Szigetvari, 8.11.2023)

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