Antikapitalismus und freie Liebe

Dieser exzellent recherchierte, letztlich auch philosophische Kommentar, ein „Economist Insider Newsletter“ vom 11.9.25 von Jeannine Hierländer aus DIE PRESSE  bringt einen guten Durchblick in der Welt der aktuellen Krisen, des Kapitalismus & Antikapitalismus sowie der Sympathien für (Überraschung) kleine und mittelgroße Unternehmen. Ganz kurzer Lusak-Kommentar dazu: „Das Problem ist nicht der „übliche“ Kapitalismus, sondern der monopolistische Kapitalismus, der absolute Alleinstellung anstrebt, den Wettbewerb verachtet und jede irgendwie vergleichbare Konkurrenz niedermachen will“

Antikapitalismus und freie Liebe

Den Amerikanern geht die Lust auf die Marktwirtschaft aus. Nur noch 54 Prozent der Erwachsenen in den USA haben laut einer Gallup-Befragung eine positive Sicht auf den Kapitalismus, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Das sei ein neues Tief, denn vor vier Jahren sahen immerhin noch 60 Prozent den Kapitalismus positiv. Gleichzeitig finden 39 Prozent der Befragten, dass Sozialismus etwas Gutes sei. Noch deutlicher wird es, wenn man die Stimmung entlang der Parteigrenzen betrachtet: Gallup zufolge seien mittlerweile zwei Drittel der demokratischen Wähler pro-Sozialismus eingestellt.
Das erklärt, wie es möglich ist, dass sich im Bundesstaat New York ein Sozialist anschickt, Bürgermeister zu werden. Zohran Mamdani will Mieten einfrieren, Lebensmittelgeschäfte verstaatlichen, den öffentlichen Busverkehr gratis zur Verfügung stellen. Damit fliegen ihm die Herzen zu, vor allem jene der jungen, gut qualifizierten Stadtbewohner. Einer Umfrage zufolge schneidet Mamdani bei sehr Armen und sehr Reichen schlecht ab, ist bei Menschen, die zwischen 75.000 und 150.000 Dollar im Jahr verdienen, dafür besonders beliebt.
Wie konnte es so weit kommen? Das habe ich einen Bekannten gefragt, der in Massachusetts lebt und kürzlich zu Besuch in Wien war. Er erzählte mir, dass an der Universität, an der er studierte, das Ökonomie-Department auch das „Marxismus-Department“ genannt wurde, weil es praktisch keinen Professor bzw. keine Professorin gab, die nicht links war. Dass Marktwirtschaft und Kapitalismus vor allem in intellektuellen Zirkeln unbeliebt sind – dieses Phänomen ist auch aus Österreich bekannt. Falls Sie ein Schulbuch finden, in dem Kapitalisten nicht als Ausbeuter dargestellt werden, die Arbeiter unterdrücken, lassen Sie es mir bitte zukommen.
Während Unternehmertum positiv gesehen wird (in der eingangs erwähnten Gallup-Befragung finden 95 Prozent „kleine Unternehmen“ gut, 81 Prozent unterstützen freies Unternehmertum), besteht der Unmut vor allem gegenüber „Big Business.“ Dabei zeigt sich, dass in einem funktionierenden Markt kein Unternehmen, egal wie groß und erfolgreich, vor dem rauen Wind der Realität gefeit ist. Aktuell anschaulich zu beobachten am Beispiel von Novo Nordisk: Das dänische Unternehmen machte mit seiner Abnehmspritze Furore, schwang sich 2024 zum wertvollsten Börsenkonzern Europas auf und zeichnete voriges Jahr für einen Gutteil des dänischen Wirtschaftswachstums verantwortlich. Doch schon gräbt die US-Konkurrenz dem Abnehm-Pionier das Wasser ab, der eine Gewinnprognose nach der anderen einkassiert und nun elf Prozent seiner Belegschaft kürzen muss.
So groß in einem freien Markt die Chancen auf große Gewinne sind, so unerbittlich straft er Unternehmen ab, die nicht laufend innovativ bleiben oder sich auf ihrem Erreichten ausruhen. Gewinn ist flüchtig, Erfolg temporär: Der Fall Novo Nordisk illustriert jenen Prozess, den der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter die „schöpferische Zerstörung“ nannte.
Über die wachsende Ablehnung des Kapitalismus habe ich mich gestern mit Vince Ebert unterhalten. Ebert ist Kabarettist, also Künstler, und trotzdem nicht links – was vielleicht daran liegt, dass er ursprünglich Physik studiert und danach in der Werbebranche gearbeitet hat. Jetzt hat er ein neues Buch geschrieben. Darin widmet er ein Kapitel dem Antikapitalismus. Mit dem Antikapitalismus verhalte es sich wie mit der freien Liebe, schreibt Ebert. Die sei auch eine schöne Idee. „Und jeder, der das in seiner Ehe schon einmal ausprobiert hat, weiß, was es für Probleme verursacht.“
Lesen Sie das Interview demnächst in der „Presse.“
Herzlich, Ihre
Jeannine Hierländer
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