.. dass man dem Bürger nicht mehr die Wahrheit sagt

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.. dass man dem Bürger nicht mehr die Wahrheit sagt

Düster, Düster! Wir bringen diesen aktuellen Kommentar von Gabor Steingart (aus seinen täglichen „Morning Briefings„, weil er – obwohl die deutsche Wirtschafts- und Politik-Situation kommentierend – so viel an erhellendem Verstehen über die Folgen der Corona-Wirtschaftskrise und das aktuelle Verhalten der Politik bringt, dass es auch für österreichische Mittelstands-Unternehmen interessant und lesenswert ist. Auch wenn er in diesem Fall nur betrachtet und kein Lösungen anbietet (Hinweis: „V-Szenario“ bedeutet schneller Einbruch und danach rasche Erholung)

Steingarts Morning Briefing: „… dass man dem Bürger nicht mehr die Wahrheit sagt.“

In Zeiten der Pandemie werden Politiker und Ökonomen von patriotischen Gefühlen durchflutet, die nur leider zur Folge haben, dass man dem Bürger nicht mehr die Wahrheit sagt. Man will motivieren und stimulieren. Die Wissenschaftlichkeit wird suspendiert, die Wirklichkeit so lange kuratiert und redigiert bis sie leuchtet wie eine Christbaumkerze.

 

► Lars Feld, Chef der Wirtschaftsweisen, weiß wie das funktioniert. Nach einem Gespräch mit CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier sagte er: „Das wahrscheinlichste Szenario aus Sicht des Sachverständigenrates ist im Moment ein V-Szenario.“ Feld und Altmaier sind einander parteipolitisch zugetan: Feld ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates des CDU-Wirtschaftsrates.

► Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, kann ebenfalls vor Optimismus kaum an sich halten: „Wir unterstellen ein V-Szenario – also einen drastischen Einbruch in den ersten beiden Quartalen, auf den ein schneller Aufschwung folgt.“
Diese Prognosen waren zu keinem Zeitpunkt wissenschaftlich fundiert. Derzeit werden sie durch die täglich eintreffenden Wirtschaftsdaten widerlegt. Die unbequeme Wahrheit ist diese: Deutschland steht vor einer zähen Rezession mit Kostensenkungsprogrammen, Arbeitsplatzabbau und Produktionsstilllegungen, die aufgrund der globalen Rückkoppelungen durch kein nationales Konjunkturprogramm verhindert werden kann.

► „Made in Germany“ ist derzeit vielerorts auf der Welt ein Ladenhüter. Die deutschen Exporte sanken im April gegenüber dem Vorjahresmonat um 31,1 Prozent auf 75,7 Milliarden Euro. „Der Exporteinbruch im April ist an Dramatik kaum zu überbieten“, so Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages.

► Bei den Unternehmen stehen die Zeichen nicht auf Erholung, sondern auf Schrumpfkur. Die Lufthansa will ihre Belegschaft in den kommenden Jahren um 20.000 Mitarbeiter stutzen.

► Die Autoindustrie hält sich mit Ankündigungen noch zurück. Die Betonung liegt auf noch. Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer weiß, was die Stunde geschlagen hat. Der Automobilbranche droht ein Abbau von 100.000 Stellen. Auch die Ereignisse in der Führung von VW sind das Wetterleuchten von Verteilungskämpfen, die zunächst im Aufsichtsrat und bald schon an der Werkbank ausgetragen werden.

► Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag schätzt, dass 35 Prozent der Industriebetriebe in den kommenden Monaten Stellen abbauen werden. Diese Effekte setzen sich von der Industrie zu den Dienstleistern bis in den Einzelhandel fort.

► Die Regierung baut mit dem Kurzarbeitergeld eine Brücke, sagen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und auch der Ökonom Felbermayr. Doch für viele wird diese Brücke ins Niemandsland der Arbeitslosigkeit führen. Die Betriebe werden unter keinen Umständen alle Kurzarbeiter wieder zurücknehmen können. Wolfgang Reitzle, Aufsichtsratschef der Linde Group, spricht die unbequeme Wahrheit aus, zu der die Politik sich nicht durchringen kann: „Ich kenne keine größere Firma, die diese Krise nicht nutzt, um ein sogenanntes Rightsizing vorzunehmen. Alle müssen jetzt versuchen, den Break-even zu senken, also Fixkosten abzubauen.“ „Auch die Unternehmen, die bisher sehr vorsichtig und sozial verträglich versucht haben, die Kostenstruktur zu verbessern, machen das krisenbedingt jetzt mit einem harten Schnitt. Deshalb wird es nun eine Konsolidierungsphase geben müssen – und keinen V-Aufschwung.“

Fazit: Tiefe und Länge der jetzt begonnenen Rezession sind schwer prognostizierbar. Aber eine schnelle Rückkehr zur Vor-Corona-Welt, soviel steht fest, wird es nicht geben können.

Gabor Steingart

https://www.gaborsteingart.com/

ZUR PERSON:

Zwanzig Jahre arbeitete Gabor Steingart für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ – zunächst als Korrespondent in Bonn, später als Ressortleiter Wirtschaft, Leiter des Hauptstadtbüros Berlin und Washington D.C. Von April 2010 bis Dezember 2012 war Steingart Chefredakteur des Handelsblatts. Für die erfolgreiche Erneuerung der Traditionszeitung wurde er von der Zeitschrift „Horizont“ zum „Medienmann des Jahres 2012“ gewählt. Das Handelsblatt wurde 2017 von einer international besetzten Jury mit dem European Newspaper Award als „European Newspaper of the Year“ ausgezeichnet. Von Januar 2013 bis Februar 2018 war Steingart Vorsitzender der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group und Herausgeber von Deutschlands größter Wirtschaftszeitung.

Sein täglicher Newsletter „Steingarts Morning Briefing“, in dem er jeden Morgen pointiert das aktuelle Welt- und Wirtschaftsgeschehen kommentiert, ist die Nummer Eins in Deutschland. Mit diesem „Pre-Breakfast Medium“ schuf Steingart eine moderne Form der Miniatur-Tageszeitung, die mittlerweile durch einen Morning Briefing Podcast ergänzt wird. Dort finden sich neben Nachrichten und Kommentaren exklusive Interviews mit Meinungsbildnern aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Mit dabei waren bisher u.a. Wolfgang Schäuble, Sigmar Gabriel, Christian Lindner, Sahra Wagenknecht, Robert Habeck, die Schriftstellerin Thea Dorn, der Krankenkassen Chef Jens Baas und der EKD Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm.

 

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